Andrea - NMOSD

Ich war 26 und plötzlich war alles anders.

Ich kann nicht genau sagen, wann es angefangen hat. Eine Ursache oder Begründung wurde nie gefunden. Vielleicht begann ja alles im Frühjahr 2006. Ich hatte jedes Jahr Probleme mit den Nasennebenhöhlen. Doch 2006 war es so schlimm, dass ich unbeschreibliche Zahnschmerzen bekam. Es wurde mit direkter Wärme behandelt. Vielleicht war aber auch ein Wespenstich im Mai/Juni der Auslöser. 6-8 Wochen nach diesem Stich bekam ich eine Erkältung mitten im Sommer. Erst behandelte ich mich selbst, als es nicht besser wurde ging ich zum Arzt. Ich bekam Antibiotika, die Erkältung ging und Rückenschmerzen kamen. Ich fühlte mich ständig schlapp, kraft- und willenlos. Ich fühlte mich in meiner Haut nicht mehr wohl, konnte nicht mehr richtig schlafen. Hatte Fieber. Ich kann mich noch erinnern, dass ich einen Tag, kreideweis und mir extrem schwindlig war. Mir kam es vor als ob die Zeit überhaupt nicht vergehen würde. Wegen erneuter Rückenschmerzen ging ich wieder zum Arzt. Mein Rücken wurde Montags gequaddelt und ich bekam Physiotherapie mit Verdacht auf Bandscheiben. Dann ging alles ganz schnell.

Am 08.09.06, Freitag ging ich erneut zum Arzt da ich es vor Schmerzen nicht mehr aushielt. Ich wusste nicht wie ich sitzen, stehen noch liegen sollte. Ich konnte einfach nicht mehr. Ich war nie ein Mensch, der wehleidig ist, aber die Schmerzen waren die Hölle. Meine Ärztin verschrieb mir Schmerzmittel und nahm Blut ab. Gegen 10 Uhr nahm ich die erste Tablette und hoffte vergebens auf die einsetzende Wirkung. Gegen 14 Uhr telefonierte ich mit meiner Ärztin. Sie sagte die Blutwerte seien in Ordnung. Meine Mama betreute mich den ganzen Tag. Ich konnte mit mir nix mehr anfangen. Gegen 15 Uhr nahm ich die zweite Tablette. Diese erreichte nicht einmal richtig das Innerste in meinem Körper und ich brach alles raus. Ich hab bisher in meinem Leben erst zweimal gebrochen. Das ist etwas was ich eigentlich gar nicht kenne. Jedenfalls ging es mir dann in sofern besser, dass die Rückenschmerzen weg waren. Ich nahm ein Bad und bemerkte, dass meine Knie sich komisch anfingen anzufühlen, irgendwie weich, wie Gummi. Ich konnte sie nicht mehr richtig stabilisieren, ich dachte mir, dass es vielleicht daran lag, dass ich den ganzen Tag noch nicht sehr viel gegessen hatte... Gegen 19 Uhr konnte ich nur noch mit abstützen laufen. Wir beschlossen ins Krankenhaus zu fahren. Dort legten Sie mich auf ein Bett und bis ein Arzt kam, konnte ich gerade mal noch meine Fußgelenke ein wenig bewegen.

Der Arzt entschied ich müsse in die Uniklinik. Dort machten sie ein MRT und legten mir schließlich einen Blasenkatheder. 2 Liter Flüssigkeit und ich merkte nicht, dass meine Blase übervoll war. Samstag gegen 2 Uhr kam der Chefarzt von zu Haus und sagte mir, dass ich einen Tumor im Rücken hab und am Montag eine Gewebeprobe entnommen würde. Ich wollte wissen, ob ich irgendwann wieder laufen könne, er verneinte es. Unter Schock sagte ich zum meinem Mann, dass wir ja bald ein Auto bekämen, wo ein Rollstuhl reinpaßt. Samstag kam dann der diensthabende Arzt und erklärte, dass sie eine Lombalpunktion machen um die Diagnose nochmal zu kontrollieren, da sich mehrere Ärzte nochmal die Bilder angesehen hätten und es 3 Möglichkeiten gäbe: Tumor, Schlaganfall oder eine Entzündung, die sie noch nie gesehen hätten. Montag wurde ich auf die Neurologie verlegt und mit Infusionen / Antibiotika behandelt. Nach einer weiteren Lombalpunktion hatten sie Viren und Bakterien gefunden. Ursache und Art unbekannt. Die Infusionen brachten mir Stück für Stück die Bewegung zurück.

Nach 2 Wochen wurde ich zur Reha geschickt. Nach wiederum 2 Wochen konnte ich schon allein vom Rollstuhl ins Bett. Meine Blase funktionierte nur leider immer noch nicht und mir wurde das Einmalkathedern beigebracht. In der 6. Woche war ich schon einigermaßen gut allein zu Fuß auch ohne Rollator. Dann bekam ich Schmerzen im linken Auge. Mehr und mehr bildete sich ein Schatten und ich begann schlechter zu sehen. Nach mehreren Drängeln, wurde ich dann in die Augenklinik gefahren.

Dort diagnostizierte man eine Sehnerventzündung. Ich wurde am Freitag, den 3.11. wieder in die Uniklinik eingeliefert. Dort begann eine Schubbehandlung mit Cortisoninfusionen. Die Schmerzen gingen, aber der Schatten verbesserte sich nicht wesentlich. Am 8.11. wurde ich entlassen. Endlich nach Hause, nach 2 Monaten. Irgendwie fühlte ich mich nicht wohl zu Hause. Ich hatte Angst. Angst, dass alles von vorn begann. Jeder Schmerz, den ich hatte versetzte mich in Angstzustände, was ist nun schon wieder. Auch Freitage waren für mich der blanke Horror. Da meine Blase immer noch nicht funktionierte, probierte ich es mit einer Heilpraktikerin. Diese teilte mir mit, dass die Entzündung im gesamten Rückenmark ab TH 11 abwärts immer noch existiert. Auch der Wespenstich hatte großen Anteil an einer Immunschwäche. Die Empfehlung Fußbad mit Natron, damit die Giftstoffe von den Infusionen rauskämen.

Es war mittlerweile Anfang Dezember. Nach Fußbädern fühlten sich meine Füße / Sohlen so an als ob ich sie mir im heißen Sand im Sommer verbrannt hätte. Den nächsten Tag, ein Freitag, stieg dieses Gefühl über die Knie bis hoch zur Hüfte. Es kam mir schon eher vor als ob meine Beine irgendwo in einem Elefantenbein verschwinden und 30 cm extra rundherum wären. Das Sitzen kam mir vor als ob ich einem Gummiboot saß. Gegen 20 Uhr riefen wir den Krankentransport. Laufen konnte ich nicht mehr, ich merkte meine Beine nicht mehr. Sie waren wie eingeschlafen es war alles taub ab Bauchnabel abwärts. Für mich und mein Gefühl war es schlimmer als im September. Meine Beine nicht mehr zu spüren, dass ist einfach unbeschreiblich...

Untersuchungen, Lombalpunktion ergaben Entzündung im Rückenmark. Ursache unbekannt. Wieder bekam ich einen Dauerkatheder. Cortisoninfusionen brachten keine Hilfe. Nach 1,5 Wochen wurde ich auf die Intensivstation verlegt und bekam 5 Blutwäschen aller 2 Tage. Die ITS ... dagegen war die normale Station ein Traum. Die Maschinen zu hören, nur 1 Stunde Besuch zu bekommen und keinen zum Reden zu haben. Ich war ein nervliches Frag. Nach 3 Blutwäschebehandlung, begann ich ein leichtes Kribbeln zu spüren erst in der großen Zehe, dann mehr die Beine entlang. Die Physiotherapie war schlimm, etwas zu machen was man nicht merkt und nur mit dem Kopf zu steuern. Stehübungen, die Depressionen wurden immer schlimmer. Es nahte Weihnachten, ich wollte einfach nicht mehr. Niemand wusste was ich habe. Nach 2,5 Wochen wurde mir Mut gemacht, dass zu Weihnachten nur die schlimmsten Fälle hier bleiben. Dann mein Gedanke, ich zu Hause. Ich musste erstmal zu meinen Eltern ziehen, allein kam ich nicht zu Rande. Erst da bekam ich den Willen wieder zu laufen zu können. Mit diesen Willen ging es voran. Auch ohne, dass ich etwas merkte, begann ich meine Beine zu bewegen. Mit Hilfe meiner Therapeutin und einer Gehbank konnte ich mich fortbewegen. Den einen Tag besuchte mich mein Mann. Auch jetzt noch ist es für mich am schlimmsten das Bild in meinen Gedanken zu sehen, wie er mich beobachtete, ich kam mir so hilflos vor. Es macht mich noch jetzt traurig und stolz zugleich, dass er immer noch bei mir ist.

In dieser Zeit kam auch ein Arzt und teilte mir mit, dass evtl. die Überproduktion eines Antikörpers die Ursache für die Entzündung ist. Genannt wird dies Devic-Syndrom, bekannte Diagnosen in dem Bereich 8 x in Deutschland, Therapie nicht ausgereift, Ausgang und Zukunft unbekannt. Definition für mich „Versuchskarnickel“. Die Blutwäsche dient dazu die Antikörper auszuspülen. Gleichzeitig müsste ich über lange Zeit Cortison nehmen und Azathioprin, die mein Immunsystem senken. Ein Tag vor Weihnachten wurde ich entlassen. Leihweise wurde mir auf Drängen des Krankentransports ein Rollstuhl mit nach Hause gegeben. Am gleichen Tag fuhr ich noch mit meiner Mama einkaufen. Die Blicke der anderen, es war unerträglich. Man konnte deren Gedanken regelrecht lesen. „Guck mal so jung“ , teilweise machte ich auch schlechte und unhöfliche Erfahrungen. Auch lehrte es mich, dass die Benachteiligung von Rollstuhlfahrern der blanke Horror ist. Dazu kann ich noch mehr schreiben, aber weiter erstmal mit mir...

Wir verbrachten Weihnachten bei meinen Eltern. Die erste Nacht musste ich von den männlichen Familienteilen eine Etage höher zum Schlafen gebracht werden. Dies und viele andere Dinge machten mich sehr traurig. Immer wieder bekam ich Weinkrämpfe und begann Angst zu haben, dass irgendetwas passieren könnte. Das Gefühl in meinen Beinen war einen Tag mal mehr, den anderen mal weniger vorhanden. Jedesmal, wenn ich etwas merkte was anders war (stechen, zucken, kribbeln ...), kamen die Gedanken, dass es wieder bergab ginge. So verging Tag um Tag und schon nach 4 Wochen musste ich zu einem vereinbarten Termin zur Kontrolle stationär in die Klinik.

Zur Terminvereinbarung wurde mir jedoch nicht mitgeteilt, dass ich wieder Blutwäsche bekam. Ich war fix und fertig, dass war so nicht geplant. Es wurde mir erst jetzt mitgeteilt, dass die Blutwäsche über ein viertel Jahr hinweg gemacht würde, um das Immunsystem unten zu halten, weil die immunsenkenden Tabletten erst nach 3 Monaten wirken. Eine Schwester und meine Familie half mir zu kämpfen, dass ich nicht wieder auf die ITS müsste und es gelang. Nach Legen des ZVK und der Blutwäschen, war ich nach 2 Wochen wieder zu Hause. Ich konnte schon einigermaßen allein, mich für kurze Strecken bewegen. Nach dieser Zeit begann auch meine ambulante Reha. Da ich nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren konnte und auch kein Fahrdienst bezahlt wurde, fuhr mich meine Familie jeden Tag zur Reha und holte mich auch wieder ab. So verging die Zeit. Reha, Missempfindungen, Schwindelgefühle, Depressionen, schlechte Laune, Kathedern, dass waren meine Tagesinhalte. Sporadisch begann meine Blase an, sich ein bisschen zu entleeren. Es wurde März und die dritte Blutwäsche stand an.

Mittlerweile konnte ich die Blase durch Druck meiner Muskeln entleeren, so dass die Katheder nur noch selten notwendig waren. Das hatte den Vorteil, dass ich keine Antibiotika für die Blasenbakterien, die ich ständig hatte, brauchte. Auch die dritte Blutwäsche verlief Gott sei dank ohne Probleme. Nach der Entlassung ging es weiter mit der ambulanten Reha bis Juli 07.


Heute November 2007:
Mein Leben hat sich geändert. Es sind andere Dinge wichtiger geworden. Ich war schon immer ein sensibler Mensch, doch jetzt sind meine Gedanken bei der Angst und jede Unplanmäßigkeit versetzt mich in Tränen. Ich weiß, dass ich versuchen muss damit zu leben. Es würde vielleicht einfacher gehen, wenn man nicht als „Versuchskarnickel“ behandelt worden wäre. Gedanklich habe ich mir eine Brücke gebaut und sage mir immer wieder jetzt kann nix passieren, ich habe kein Immunsystem.

Ich weiß aber, dass ich in ca. 1 Jahr keine Tabletten mehr nehmen werde – was dann? Dann habe ich diese gedankliche Sicherheit nicht mehr.

Ich kann wieder laufen und bin grob gesehen auf keine Hilfe angewiesen. Ich habe täglich Missempfindungen ab Bauchnabel abwärts, mal mehr mal weniger. Die Blasenentleerungsstörung ist in soweit noch vorhanden, dass ich alles mit meinen Muskeln heraus pressen muss. Dies verursacht sehr oft Kopfschmerzen. Eine Gleichgewichtsstörung schränkt mich dahingehend ein, dass ich nix tragen kann. Auch beim morgendlichen Gesicht waschen, würde ich ohne Waschbecken umfallen.

Beim Aufstehen nach längeren Sitzen verkrampfen die Muskeln in den Beinen. Abprubt stehenbleiben ist sehr schwierig, rennen geht auch noch nicht. Mir ist sehr oft schwindelig. Auf meinem linken Auge sehe ich 30%, die Einschränkung durch den Schatten ist auch jeden Tag anders, da je nach Lichtverhältnis auch der Schatten anders ist. Berührungen und Zärtlichkeiten ab Schulterbereich abwärts ist unerträglich. Meine Knochen knacken sehr oft, auch im Becken kommt es mir manchmal vor, wenn ich aufstehe, dass sich alles erst einrenken muss. Ich habe 20 kg zugenommen, dass sind die Nebenwirkungen vom Cortison. Ich erkenne mich selber nicht wieder und kann mich kaum
ertragen. Wenn ich mich sehe, verfalle ich manche Tage in Depressionen und Weinkrämpfen. Nach 10 Treppenstufen komme ich mir vor, als ob ich 3 km gerannt wäre. Ich fühle mich nicht wohl. Anfangs gab es Tage, da fragte ich mich warum und kam immer zu dem Ergebnis, dass die Krankheit alles kaputt gemacht habe. Meine Beziehung hat extrem gelitten. Ich hätte meinen Mann durch mein Verhalten beinah verloren. Ich habe sehr oft alles auf die Nebenwirkungen der Tabletten geschoben.

Ich war neidisch auf das, was er machen kann (arbeiten, autofahren), eigentlich auf alltägliche gewöhnliche Dinge. Mir fehlt die Anerkennung und manchmal bekomme ich Gefühle der Nutzlosigkeit oder eher dass dies, was ich tue, nicht sinnvoll ist. Jetzt den Haushalt machen zu können, ist eigentlich schön, aber auf Arbeit zu gehen, Leute zu treffen, Kommunikationen und Diskussionen zu führen, kann mir in dieser Art und Weise zu Hause keiner geben. Seit Oktober läuft es eigentlich wieder richtig gut mit uns beiden. Ich bin dankbar für die Ausdauer, die er mit mir hat und hatte. Ich weiß nicht ob ich an seiner Stelle so lange durchgehalten hätte. Ich frage mich immer, wie er mich optisch ertragen kann, wenn ich es selber nicht mal kann.


Am schlimmsten finde ich auch diese Menschen, die versuchen ihr Mitgefühl auszudrücken und sagen, dass sie sich vorstellen können, wie es mit ging und geht. Aber das ist nicht so. Keiner kann das, zumindest nur die denen es so ergangen ist.

Fazit:
Eine „schlaue“ Psychologin“ (wenn man sie so bezeichnen darf) gab mir den Rat, nicht ständig an die Krankheit zu denken. Ich weiß, dass dies stimmt nur leider ist es kaum umsetzbar. Sobald ich mich bewege, mich im Spiegel sehe, meine Sachen anziehe (die mir nicht mehr richtig passen), die einfachsten Dinge tun will und ich wieder stolpere oder irgendwo anecke, sind die Gedanken und Angst wieder da.

Ich habe jetzt Rente beantragen müssen, da ich berufsunfähig bin, aber ich kann laufen und habe meine Familie und meinen Mann ohne welchen ich es nie geschafft hätte.
Irgendwann werden wir auch Eltern sein, dass wird glaub ich die schönste Freude sein. Die Krankheit hat mir gezeigt, dass man eigentlich jeden Tag genießen und nicht mit streiten verbringen soll. Liebe ist alles was zählt. Es hat mir und uns gezeigt, wer unsere wahren Freunde sind. Ich bin dankbar so eine Familie zu haben. Früher zählte für mich nur Arbeit. Jetzt ist es mir wichtig auch mit kleinen Dingen meiner Familie und meinen Mann eine Freude zu bereiten und für sie da zu sein.

 

Stand 2022:

Es ist erstaunlich wie die Zeit rennt ist.

Jetzt nachdem ich meine Zeilen aus 2007 noch einmal gelesen habe, ist es kaum zu glauben, dass es schon 16 Jahre her ist. Wahnsinn. Es geht mir gut. Es waren ruhige, turbelente, ereignisreiche, schöne und nicht so schöne Jahre dabei. Das Leben eben, ein ständiges Auf- und Ab.

Wie ging es weiter:

Nach Absetzen des Coritisons habe ich mich riesig gefreut, wie auch das Cushing-Syndrom wieder verschwunden ist. Ganz langsam aber stetig, konnte ich mein altes Gewicht wieder erreichen. Wie ein Schwimmreifen aus dem die Luft rausgelassen wurde. Wir entschieden uns für einen kleinen Hunde, der mir täglich eine Aufgabe gab, aufzustehen und mir einen Tagesrythmus gab. Er war eine Bereicherung und half mir aus den Depressionen. Es ist unglaublich, welch Kraft so ein Tier geben kann. 1 Jahr später heiratete ich meinen Mann und ich fing an mich in meinem neuen Leben zu Recht zu finden. Ich hatte wieder das Gefühl doch noch für irgendetwas gebraucht zu werden.

Die Missempfindungen, Kribbeln verbesserten sich noch etwas, aber ich kann sie auch noch bis heute spüren. Es ist sehr viel tagesform- und auch stressabhängig.

Das Azathioprin nahm ich bis 2012 als Dauermedikation. Ich war immer noch der Meinung, dass die NMO eine einmalige Geschichte im Jahr 2006 war und die Ärzte rieten mir zu diesem Zeitpunkt, die Tabletten müssten nun auch mal ausgeschlichen werden, auf Grund der Nebenwirkungen, wenn man sie zu lange einnimmt. Mein Plan war, Tabletten ausschleichen, den Körper die ganze Chemie einige Monate oder Jahre abbauen lassen und dann endlich das "Projekt Familie" planen. Soweit mein Plan und meine ganze Zuversicht, welche dann im Sommer 2013 den "Bach runterging". Im Frühjahr 2013 bekam ich eine Nasennebehnhöhlenentzündung, aber nicht so schlimm wie 2006. Sie wurde behandelt und alles war gut. August 2013 spürte ich dann irgendetwas über mein Knie das Bein runter laufen. Erst auf der einen Seite, dann auf beiden. Erst nur einmal am Tag bis zu letzt mehrmals am Tag. Ich dachte ist vielleicht ein gutes Zeichen, vielleicht fängt auch meine Blase wieder an zu arbeiten.

Dann fiel mir ein, dass ich 2 Wochen davor Schmerzen im Nacken und Schulterbereich hatte, wohl ich dachte ich hatte einfach nur Zug bekommen und deswegen es so weh tat beim Bewegen. Es folgten die Stunden, wo der Gedanke aufkam, dass es keine normalen Schmerzen im Rücken waren, weil es auch so unsagbar weh tat und nicht wie früher vor der NMO, wenn ich mal Rückenschmerzen hatte. Es kamen auch die Gedanken, dass diese "Schläge" in den Knien, die dann nach unten liefen und von Tag zu Tag häufiger vorkamen, keine Besserungserscheinungen waren. Es gesellten sich Krämpfe in den Fingern und ein Kraftverlust in den Armen dazu.

Also machte ich mich wieder mal an einem Freitag auf den Weg in die Notaufnahme. Ich bekam mitgeteilt, dass MRT erst am Dienstag möglich wäre und dies auch nur, wenn ich mich einweisen lassen würde. Unsagbare Stunden und Tage vergingen. Den folgenden Dienstag nach dem MRT kam die Ärztin, welche Freitag in der Notaufnahme Dienst hatte, nach dem MRT zu mir und meinte: "Es ist aber schön, dass sie sich noch bewegen können, bei der Entzündung, die sie haben ist es unglaublich"

Ich war fix und fertig, die Tränen liefen. Es begannen 5 Tage Coritson intravenös, obwohl ich mitteilte, dass das nichts hilft und verschenkte Tage sind. Die Ärztin lies nicht mich sich verhandeln. Im Gegenteil, da ich nur am Weinen war, wollte sie mich zu psychopharmazeutischen Tabletten drängen. Glücklicherweise war mein Mann da und diskutierte da auch sehr mit ihr. Das die Gründe auf der Hand liegen, warum das so ist.

Nach 5 Tagen Cortison folgten 5 Tage Immunabsorption. Ich war begeistert, dass es eine schnellere Methode für mich gab, aus dem KH wieder zu verschwinden. Ich erhielt sozusagen die Blutwäsche in veränderter Form und bekam mein eigenes Plasma wieder, daher konnte es jeden Tag gemacht werden. Mit einer leichten Cortisontablettendosis wurde ich entlassen. Es wurde mir erklärt, dass es eine chronische Erkrankung ist und sie nun doch immunsupressiv weiterbehandelt werden muss. Auf Grund meines Kinderwunsches schlugen sie die Behandlung per Infusion mit Rituximab vor.

Ich erhielt 4 Wochen danach die erste Infusion und dann 2 Wochen darauf die nächste. Dann ein halbes Jahr später wieder 2 Zyklen.

Es ging mir gut und der Schock, dass die NMO nun doch nicht einmalig 2006 erschien, sondern dauerhaft mein Leben begleiten wird, hatte ich einigermaßen verdaut. Das Ziel Kinderwunsch immer im Blick. Die Spontanität einfach so mal schwanger zu werden, hatte mir die NMO genommen, aber die Möglichkeit es überhaupt einmal sein zu dürfen nicht. Ich plante die Schwangerschaft zusammen mit den Ärzten. Ich bekam ein Zeitfenster zwischen den Zyklen, wann wir es probieren durften und ab wann nicht mehr. Es trat das Wunder ein, worauf ich mein ganzes Leben lang gewartet hatte, ich wurde schwanger und ein kleines Wunder wuchs in meinem Bauch. Die Infusionen wurden während der Schwangerschaft ausgesetzt.

Sie verlief relativ unkompliziert, die Angst eine neue Entzündung zu bekommen, war mein ständiger Begleiter. Immerhin gab es noch nicht so viele NMO-Frauen, welche schwanger wurden und die Ärzte waren sich nicht sicher, wie das alles so läuft. Eins wussten sie jedoch, dass binnen 24h nach der Entbindung eine Insuion mit Rituximab zu erfolgen hat und Stillen wäre nicht gut für das Baby.

Soweit so gut, jedoch gestaltete sich die Umsetzung etwas schwierig. Ich musste selbst einen Antrag bei der KH stellen, dass ich nach der Entbindung in der Frauenklinik die Infusion erhalten darf, da diese eigentlich nur noch ambulant verabreicht wird. Die Frauenklinik selbst hätte kein Problem damit, aber naja.

Unser Wunder wurde auf natürlichen Weg geboren. Der Tag der Infusion war da, aber man kann so viel planen wie man möchte, den Klinikalltag jedoch nicht. Es war kein Arzt vorhanden, der mir hätte die Infusion anghängen können, also der dazu befugt gewesen wäre mir die Medikation zu geben. Also ging seitens der diensthabenden Ärztin das große Rumtelefonieren los. Am Ende wurde ich in die "ambulante Infusionstation" verlegt - ohne mein Baby - bekam die Infusion. Diese kannten sich aber nicht mit der Tropfzeiten aus, so dass die Infusion fast 12 Stunden dauerte. 12 Stunden ohne mein Baby. Eine Situation, die mich auch heute 7 Jahre später noch sehr belastet.

3 Tage nach der Geburt konnten wir planmäßig nach Hause.

Einige Monate später stand das nächste Gespräch mit meinem Neurologen in der Uniklinik an. Wir besprachen die weitere Medikation. Auf meinen Wunsch hin, ging ich zurück zum Azathioprin, da ich die Rituximab-Infusionen nicht so gut vertrug und mit den Tabletten nie große Probleme hatte.

Die Tabletten sind mein Wegbegleiter. Ich weiß, dass es Nebenwirkungen geben kann. Die Alternative sind die Entzündungen. Diese gilt es zu verhindern, damit ich mein Kind auch aufwachsen sehen kann.

Ich bin dankbar zu leben. Es gibt immer wieder auch schlechte Momente, die mir zeigen, wie wichtig es ist, sich mit kleinen Dingen zufrieden zu geben und die mich daran erinnern, was für ein Geschenk es ist sehen zu können und laufen zu können und einfach seinen Alltag zu meistern. Das Leben bleibt ein Auf- und Ab.

Mein nächstes Ziel:

Das tiefe Verhältnis, die enge Bindung zu meinem Kind zu bewahren, auch über die Pubertät und den Auszug in die eigenen 4 Wände hinaus. Mein Kind zu einem toleranten Menschen gegenüber kranken Menschen zu erziehen, andere Blickwinkel auf Situationen aufzuzeigen und zu hinterfragen. Und später einmal Oma werden, aber das liegt nicht in meiner Hand :-)