Katharina - NMOSD
Mitten im Urlaub 2017 merkte ich (52), dass ich Bedenken hatte, diese lange Freitreppe hinab zu laufen. Ich sah die Stufen nicht schlechter als üblich, aber irgend etwas sah ich doch anders. Ich registrierte dieses diffuse Gefühl und wurde prompt bei der nächsten Schlossbesichtigung daran erinnert. Ab jetzt prüfte ich, ob sich mein Sehen verändert hatte. Ich war unsicher. Inzwischen nahm ich mir die Hand meines Mannes zur Hilfe, wenn ich dieses Gefühl der Unsicherheit spürte.
Vor dem Einschlafen sah ich kurze Blitze, und diese Blitze kehrten allabendlich wieder.
Wieder Zuhause, fand ich das Bild im Fernseher so dunkel. Irgendwie hatten sich die Einstellungen während des Urlaubs verschoben. Ohne einen Gedanken an die Seh-Zweifel des Urlaubs zu verschwenden, korrigierten wir Kontrast und Helligkeit in den Fernseh-Einstellungen. Alles okay! Nach ein paar Tagen bat ich um nochmalige Korrektur am Fernsehbild. Und da endlich dachten wir, dass es vielleicht an meinen Augen liegen könnte.
Zum Glück bekam ich, nach Schilderung der Beschwerden und Erwähnung der Blitze, sofort einen Augenarzttermin, von dort eine dringende Überweisung an die Uni-Augenklinik in Mainz. Dort waren alle Untersuchungen ohne Befund. Als letzten Test ließ man mich ein rotes Bild mit jedem Auge ansehen. Hier sah ich mit meinem linken Auge aber kein „Rot“. Daraufhin schickte man mich gleich zur Neurologie und nach diversen Tests in der dortigen Ambulanz kam ich auf Station. Da lag ich nun, gesund, mit nur ein paar Problemen an den Augen. Dachte ich...
Die Untersuchungen, die nun folgten, waren rückblickend genau zielführend: MRT, Lumbalpunktion, viele Blutuntersuchungen. Mit der Cortison-Stoßtherapie wurde sofort begonnen. Im MRT zeigte sich links eine starke Sehnerventzündung, die Cortisongaben wurden auf 5x verlängert. Mit einer Diagnose hielt man sich zurück, aber nach meinen Fragen, ob das wiederkehren könne, erläuterte mir eine Ärztin zwei Optionen: 1. sei die Sehnerventzündung ein Anzeichen einer möglichen MS, 2. sei diese Sehnerventzündung ein einmaliges Ereignis und ohne Folgen.
Danach durfte ich wieder heim. Und die Fragen begannen, mein Mann und ich
recherchierten im Internet, mein Hausarzt nahm sich viel Zeit und beruhigte uns. Ich sei doch 52, also viel zu alt für den Beginn einer MS.
Im Mai 2018 bemerkte ich erneut, dass ich schlechter sah und die Blitze abends vor dem Einschlafen wieder auftauchten, ließ die Augen untersuchen, bekam eine Überweisung in die Augenklinik. Gleiches Spiel, nach der Untersuchung in der Augenklinik sollte ich zur Neurologie. Ich sah zu dieser Zeit fast nichts mehr. Die Neurologin in der Notaufnahme (es war inzwischen abends) entschied, dass alles in Ordnung sei und schickte mich heim. Ich solle einen niedergelassenen Neurologen konsultieren. Darum bemühte ich mich nun intensiv. Aber erfolglos, denn ich wollte zeitnah einen Termin, nicht nach 6 Monaten.
Ich versuchte derweil, meiner Arbeit nachzugehen. Ich bin Klavierlehrerin und gebe Stunden. Da ich die Noten immer schlechter lesen konnte, las ich sie mit Lupe. Vor den Klavierschülern wollte ich meine Sehschwäche nicht zu erkennen geben. Hier kam mir meine jahrzehntelange Praxis zugute, denn in der Klavier-Anfänger-Literatur kannte ich jede Note, jeden Fingersatz. Beim Üben jedoch merkte ich, dass ich als sehender Mensch Musik auch mit den Augen erarbeite, es klappte einfach nichts mehr. Ende Juni ging ich zum Hausarzt und bat um eine Krankschreibung, weil ich so, ohne Sehen zu können, nicht mehr unterrichten könne. Mein Hausarzt war erschrocken, weil ich kaum sehen konnte und nicht in Behandlung war.
Von diesem Moment an leitete er meine Arztkonsultationen. Augenklinik (Visus links 0,05, rechts nicht mehr darstellbar), Neurologie, MRT. Hier entdeckte man die beidseitige Sehnervenzündung in der Kreuzung beider Nervenstränge. 5X Cortison ambulant.
Danach wurde ich in der Neurologie aufgenommen und bekam meine ersten Zyklus der Plasmapherese. Ich bekam auch erstmals eine Diagnose, CRION (chronisch rezidivierende Immun-Optikus-Neuropathie), die MS stand auch noch im Raum, verblasste aber im Lauf der Zeit. Mein Mann las sich ein in verschiedene Krankheitsbilder, Therapien, Prognosen. Daneben „übernahm“ er mein Sehen, wir gewöhnten uns sogar einen deftigen Humor an, wenn ich wieder einmal an meinen „Nichtsehen“ verzweifelte. Langsam, so
schleichend, wie es anfangs dunkler wurde, kehrte die Helligkeit zurück. Toll! Und ich fand es erstaunlich, wie schnell ich wiederum mein „Blindsein“ vergaß!
Ab jetzt wurde ich in der Spezialambulanz der Uniklinik betreut. Ab Oktober 2018 nahm ich Azathioprin ein und hatte Ruhe.
Nach 3½ Jahren bemerkte ich um meinen Brustgürtel ringsum brennende, stark schmerzende Empfindungen. Während einer turnusmäßigen Untersuchung in der Schmerzambulanz der Uniklinik Mainz berichtete ich darüber. Die damalige Ärztin nahm diese Schmerzen sehr ernst, für eine stationäre Aufnahme (am liebsten sofort) fehlte jedoch ein aktuelles MRT. Dieses sollte ich bringen, dann könne ich auf stationär in die Uniklinik aufgenommen werden.
Für meinen Mann und mich begann ein „Telefonmarathon“. Einen zeitnahen Termin zu bekommen (Zitat der Ärztin „am besten noch heute“) war fast unmöglich. In unserer Verzweiflung baten wir sogar um einen Privattermin, wollten das MRT selbst bezahlen, aber auch dieser Weg wurde uns verwehrt. Es erbarmte sich eine Mitarbeiterin in Worms, 60 km von uns entfernt. 2 Tage später bekam ich „mein Foto“, nein :), meine MRT-CD, mit dieser in der Hand fuhren wir gleich durch zur Uniklinik, kurze Zeit später lag ich am Tropf
und bekam Cortison.
Ich beschreibe das sehr ausführlich, denn wir haben viel aus dieser schwierigen
Angelegenheit gelernt. Wir nahmen die dringenden Worte der Ärztin sehr ernst, weil wir in der Vergangenheit viel über neurologische Erkrankungen gelesen hatten. Wir lernten, dass unsere Uniklinik zwar MRT-Geräte hat, diese aber keineswegs für solche Akutfälle nutzbar sind. Auch, dass es für dringende Fälle in Radiologischen Praxen keine freien Termine gibt. Aber wir waren froh, dass wir so hartnäckig waren, denn im MRT sah man Entzündungen im Rückenmark, genauer in der Myelinschicht drumherum, gestreckt über 3 Wirbel. Ich hatte einen Schub. Der machte sich bemerkbar in den Beinen bis rau in die Leistengegend. Meine Beine kribbelten, ich spürte keine Wärme/Kälte in den Füßen, auch nicht spitz oder stumpf bei Berührung. Das Laufen fiel mir schwer, ich kam nicht vom Fleck.
Nach der Cortison-Stoßtherapie war mein Gesundheitszustand unverändert und ich kam zur Plasmapherese. Im Hintergrund arbeiteten meine Neurologen anhand von Blutwerten und den MRT-Bildern an einer neuen Diagnose und einer neuen Langzeittherapie.
Meine neue Diagnose hieß nun seronegative NMOSD, Azathioprin wurde abgesetzt, ich bekam ab jetzt Rituximab. „Seronegativ“ heißt, dass bei mir keine Antikörper auf Aquaporin-4 oder MOG zu finden sind.
Da es mir so schlecht ging, wuchs in mir der Wunsch nach einer Reha. Mein Mann recherchierte, ob meine Krankheit dafür Infrage käme. Wieder zuhause, beantragte ich online eine Rehabilitationsmaßnahme bei der DRV, der Rentenversicherung. Parallel informierte ich mich über eine geeignete Kurklinik, dabei orientierte ich mich an den Empfehlungen der DMSG. Diese Reha trat ich zeitnah an, wurde sehr gut betreut, lernte vieles und bekam gute Tipps (z.B. vom Sozialdienst) für mein Leben mit meiner nun manifestierten neurologischen Erkrankung NMOSD.
Meine Klavierschüler hatten viele Wochen keinen Unterricht gehabt, aber nun wollte ich frisch ins neue Schuljahr starten. Eine erneute Sehnervenzündung bremste mich und meinen Elan aus. Statt Musik gleich wieder: Plasmapherese für mich, Ausfall für die Klavierschüler. Womöglich war die Anstrengung des Unterrichtens zu groß? Stress vermeiden ist eine der Empfehlungen im Allgemeinen. Ich merkte allerdings wirklich, dass ich nicht mehr belastbar war.
Es wuchs mein Gedanke, einen Rentenantrag zu stellen. Und so kam es auch, diesen Antrag stellte ich ebenfalls online. Das war sehr umfangreich, denn ich beantwortete die Fragen sehr ausführlich. Bei der Gelegenheit merkte ich, dass die Beurteilung der Kureinrichtung von hoher Bedeutung für den Rentenantrag war. Unabhängig vom Ausgang des Antrages reduzierte ich mein Arbeitspensum sofort stark, d.h., nur noch wenige Schüler kamen, dazwischen nahm ich mir Pausen zum Erholen. Mein Antrag wurde bewilligt, erst für 50%, später für die volle Erwerbsminderungsrente.
Nach einer weiteren Myelitis (auch mit Cortison und Plasmapherese behandelt) wurde ich auf Tocilizumab umgestellt, Rituximab konnte mir offensichtlich keine Schubfreiheit gewähren. Seit März 2022 bekomme ich aller vier Wochen eine Infusion mit Tocilizumab, stationär mit einer Übernachtung im Krankenhaus. Das ist nicht schön, aber Tolicizumab wirkt seit einem Jahr gut und mir geht es gut. Ich habe aber inzwischen ganz mit dem Arbeiten aufgehört, mache regelmäßig Yoga, gehe zur Physiotherapie, zur Sportgruppe und lasse alles langsamer angehen.
Meine Beschwerden sind vor allem in der Beweglichkeit der Beine, Problemen bei Blase und Darm, der Belastbarkeit insgesamt und ständigen Rückenschmerzen zu beschreiben.
Ich genieße mein Privileg, nicht mehr arbeiten zu müssen, ich weiß mich sehr gut aufgehoben bei meinen Ärzten. Schnell ein MRT zu bekommen, bleibt ein Problem.
Vor allem aber fühle ich mich getragen von meiner Familie. Ich bin so dankbar, dass ich von meinem Mann geliebt und unterstützt werde. Ohne ihn könnte ich die wiederkehrenden Schübe nicht so gut meistern und verkraften. Er stützt mich, hält meine schlechte Laune aus, er verwöhnt mich und gibt meinem Leben Sinn.
Diese Krankheit stellt viele Dinge des Lebens auf den Kopf, aber es tun sich immer neue Wege auf. Das darf keiner von uns vergessen.