Michael - TM

Mein Name ist Michael, ich bin von Beruf Arzt und möchte hier zum Erfahrungsaustausch den Verlauf meiner TM schildern:

Im Alter von 41 Jahren hatte ich im November 2002 einen Infekt der oberen Atemwege ohne Fieber aber mit zeitweisem Auftreten von Muskelschmerzen, Abgeschlagenheit und vermehrtem Schwitzen.
Es folgte eine übliche Selbstmedikation ohne Antibiotika. Nach etwa drei Wochen waren die Beschwerden deutlich gebessert mit dem subjektiven Gefühl der Erholung.
Fünf Tage vor Heiligabend hatte ich beruflich im hiesigen Krankenhaus zu tun. Nach der Fahrt von meiner Wohnung dorthin auf dem Parkplatz verspürte ich ein plötzliches "Ziehen" im linken LWS-Bereich und beim Gang zur Arbeit (ca. 500 m) eine Verstärkung bis in das linke Bein.
Wegen der zunehmenden Schmerzen wurde ich in der Erste-Hilfe-Ambulanz des Krankenhauses bei einem Orthopäden vorgestellt mit der Verdachtsdiagnose eines Bandscheibenvorfalls (dazu muss ich erwähnen, dass ich seit etwa 20 Jahren immer wieder mal sog. Blockierungen im HWS- und LWS-Bereich hatte und auch in einem CT etwa 11 Jahre früher eine Bandscheibenvorwölbung in der unterenLWS beschrieben wurde). Im Laufe des Vormittags zogen die Schmerzen auch ins rechte Bein, eine Abgabe einer Routine-Urinprobe etwa zwei Stunden nach Symptombeginn war mir nicht möglich.

Da trotz einer Infusion mit Schmerzmitteln sich keine Besserung einstellte, wurde ich auf einer orthopädischen Station des Hauses aufgenommen und dort ins Bett gelegt.
Eine ärztliche Untersuchung erfolgte erst auf Verlangen gegen 16:30 Uhr, da ich unter zunehmenden Schmerzen mit zusätzlichen Kribbelgefühlen litt und immer schlechter meine Beine bewegen konnte.

Ein neurologischer Kollege wurde hinzugezogen und stellte überschießende Reflexe der Kniescheiben- und Achillessehnen, eine Überempfindlichkeit der Haut ab dem Areal L1 mit schlaffer Lähmung des linken mehr als des rechten Beines fest. Wegen des Harnverhalts musste ein Blasenkatheter gelegt werden.
Im Hause war eine Kernspinuntersuchung des Rückenkanals leider nicht möglich. Daher wurde ich gegen 18:00 Uhr in das nächst größere mit einem solchen Gerät ausgestattete Krankenhaus per Krankenwagen verlegt. Gegen 21:00 Uhr konnte die Untersuchung beginnen, dauerte etwa eine Stunde unter zusätzlicher Gabe von Kontrastmittel. Leider war die Liege wenig gepolstert, das Gerät sehr laut und die Schmerzen nicht gering. Eine Stunde kann schon sehr lang werden!
Nach der Untersuchung wurde die Verdachtsdiagnose einer postinfektiösen transversen Myelitis gestellt und umgehend mit einer hoch dosierten Cortison-Infusionstherapie begonnen.
Am nächsten Tag erfolgte noch neben den am Vortag abgenommenen Blutwerten eine Punktion des Rückenmarkkanals, zu der ich mich am Vorabend körperlich und geistig nicht in der Lage sah.
Im weiteren Verlauf des stationären Aufenthalts bildeten sich unter der begonnenen Therapie die Symptome zunehmend zurück, so dass ich nach 2,5 Wochen Krankenhaus in ein Rehabilitationskrankenhaus verlegt werden konnte und hier während des dreiwöchigen Aufenthaltes erst wieder mühsam das Laufen lernen musste.
Im Verlauf meines gesamten Krankenhausaufenthaltes wurden noch weitere Untersuchungen durchgeführt (Kernspinuntersuchung des Kopfes und des Halswirbelsäulenbereiches, Kontrollpunktion des Rückenmarkkanals, Blutuntersuchungen etc.), so dass auch andere mögliche Diagnosen ausgeschlossen werden konnten (z.B. Bandscheibenvorfall, Multiple Sklerose, Guillain-Barré-Syndrom, ...).
Leider haben sich nicht alle Symptome zurückgebildet, es bestehen noch Kribbel- bzw. Taubheitsgefühle im linken mehr als im rechten Bein bis in die Fußsohlen, ein Druckmanschettengefühl in beiden
Oberschenkeln, eine Steifigkeit im LWS-Bereich und leichte Koordinationsstörungen beim Stehen und Gehen. Treppensteigen ist anstrengend und längere Gehstrecken sind wegen der tauben Fußsohlen unangenehm, d.h. Wandern und Skifahren z. Zt. nicht mehr möglich.
Rückblickend kann ich im Vergleich mit anderen TM-Fällen sehr zufrieden sein, dass die Diagnose so schnell gestellt wurde und ich trotz der verbliebenen Restbeschwerden im Alltag zwar etwas eingeschränkt bin, meinen Beruf aber weiterhin ausüben kann und nicht wie manche andere Betroffene im Rollstuhl sitzen oder unter ständiger Erschöpfung leiden muss.

Ab Frühjahr 2003 hatte ich dann versucht, mein vorheriges Arbeitspensum wieder zu leisten (als Arbeitsmediziner war ich zu circa 90 % im Außendienst mit dem Dienstfahrzeug unterwegs zu verschiedensten Betrieben, musste diverse Geräte tragen, zum Teil über unebene Wege und viele Treppen). Allerdings hatte ich nach einer anstrengenden Woche das Wochenende gebraucht, um mich zu erholen. Medikamente waren nicht notwendig. Da es nach etwa zwei Jahren keine Verbesserungen gab, habe ich mich entschlossen, diese mit den TM-Folgen körperlich anstrengende Tätigkeit aufzugeben und eine Stelle in einem Gesundheitsamt zu suchen. Nach erfolgreicher Stellensuche Kündigung des bisherigen Arbeitsvertrages und im Herbst 2005 Umzug in die Nähe der neuen Dienststelle mit Frau und zwei kleinen Kindern. An der neuen Dienststelle war dann die volle Arbeitszeit nur noch zu circa 20 % im Außen- und der Rest im Innendienst, was körperlich für mich leistbar war. Bei meinem Antrag auf Schwerbehinderung wurde mir ein GdB 50 und eine Gehbehinderung mit dem Merkzeichen G zugesprochen. Regelmäßig einmal jährlich Grippeschutzimpfung ohne Probleme.

Im November 2014 hatte ich wie üblich meine jährliche Grippeschutzimpfung mit dabei allerdings zeitgleichem leichtem Infekt der oberen Atemwege. Etwa zehn Tage nach der Impfung kam es zum Auftreten erneuter starker Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäulen und einer zunehmenden Schwäche in den Beinen. Es folgte ein erneuter kurzer stationärer Aufenthalt in der nächstgelegenen Neurologie mit dem üblichen diagnostischen Programm, der Diagnose eines Schubes meiner transversen Myelitis und intravenöser Cortisonstoßtherapie. Der neurologische Chefarzt vermutete eine Triggerung durch die Impfung und den zeitgleichen Infekt. Seitdem habe ich auf weitere Grippeschutzimpfungen vorsichtshalber verzichtet.
Nach dem zweiten Schub war es mir allerdings nicht mehr möglich, die stärker gewordenen Missempfindungen ohne Medikamente auszuhalten (derzeit nehme ich täglich 1200 mg Gabapentin und alle 2 Tage 30 mg Duloxetin). Es folgte noch eine reaktive leichtgradige depressive Episode mit einer ambulanten psychologischen Therapie über circa 1,5 Jahre. Bei meinem Antrag auf Erhöhung des GdB wurde mir nun ein GdB von 60 zugesprochen. Nach dem 2. Schub wurde ich von der Amtsleitung von den bisher durchgeführten Heimbegehungen entpflichtet, so dass ich Aussentermine nur noch für Begutachtungen durchzuführen hatte.

Seit Beginn der SARS-CoV-2-Pandemie im März 2020 bin ich im Homeoffice und brauche nicht mehr morgens und abends eine Stunde Fahrtzeit auf mich zu nehmen. Auch dies ist eine zusätzliche Entlastung und trägt dazu bei, meine Arbeitsfähigkeit zu erhalten.

Aufgrund des letzten Schubes nach der o.g. Impfung hatte ich 2021 lange gezögert, mir eine SARS-CoV-2-Impfung geben zu lassen, mich jedoch schließlich dann für den Einmal-Vektorimpfstoff COVID-19 Vaccine Janssen (J&J) entschieden und diesen dann am 10.08.21 von meiner Hausärztin bekommen.
Leider hatten sich meine Befürchtungen bestätigt: etwa 12 Stunden nach Impfung begannen bei mir starke Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule sowie ein erhebliches Kompressionsgefühl in beiden Oberschenkeln, genau wie nach dem letzten Schub, allerdings ohne die damaligen Lähmungserscheinungen im linken Bein. Meine Gehfähigkeit ist seitdem verschlechtert und wegen der stärkeren Mißempfindungen in den Beinen habe ich meine bisherige tägliche Gabapentindosis bei Bedarf um bis zu 50 % erhöht. Auf eine erneute i.v. Cortison-Stoßtherapie hatte ich allerdings verzichtet. Da mein Immunsystem und mein Rückenmark wohl keine engen Freunde mehr sind, werde ich künftig sicherheitshalber auf weitere Impfungen verzichten, da mir das Risiko einer künftigen Rollstuhlabhängigkeit doch zu hoch erscheint.

Mittlerweile bin ich 60 Jahre alt und kann sagen, dass mein Leben ohne die TM sicher völlig anders verlaufen wäre, aber man kommt nicht umhin, aus seinem Leben mit den Folgen der TM trotzdem das Beste zu machen, wobei die familiäre Unterstützung sehr wichtig ist.

Stand 23.11.2021