Tamina - rezidiv. TM
Mein Verlauf einer „rezidivierenden“ Myelitis
Ich gehöre zu den äußerst seltenen Betroffenen mit einer wiederkehrenden Myelitis. Ist die Myelitis schon selten genug, so ist dies eine wiederkehrende, „rezidivierende“ Myelitis erst recht. Das Schicksal hat hier gerade mich erwählt.
Etwa ein Jahr vor meinem ersten Kontakt mit der Myelitis hatte ich Beschwerden, die den rheumatischen sehr ähnlich sind. So ähnlich, dass meine damalige Hausärztin „Rheuma“ diagnostizierte und mich entsprechend naturheilkundlich behandelte (ich bin ein Fan der Naturheilkunde). Ich hatte symmetrische, jeweils auf beiden Seiten gleichermaßen auftretende Gelenk- und Muskelschmerzen, vor allem an Händen und Knien, aber manchmal auch an anderen Stellen. Oft war es morgens besonders schlimm, genau wie beim Rheuma.
Die naturheilkundlichen Anwendungen schienen zu greifen, und es gab immer mehr Phasen, in denen ich nahezu beschwerdefrei war. Einige Wochen vor der Myelitis ging es mir sogar relativ gut. Allerdings schickte mir mein Körper immer wieder Warnsignale, so dass ich ahnen musste, dass da noch etwas in Gang ist.
Als dann die Myelitis ausbrach, der erste und schwerste Vorfall, begann für mich eine der schlimmsten Zeiten in meinem Leben. Noch immer bin ich etwas traumatisiert. Im Laufe weniger Tage entwickelten sich schwere Missempfindungen und Gangstörungen, die so weit fortschritten, dass beide Beine absolut bewegungsunfähig wurden. Schließlich hatte ich eine fast komplette „Querschnittssymptomatik“. Die Diagnose „Myelitis“ erhielt ich in der Akutklinik erfreulich schnell, innerhalb von Stunden – da hat die Ärzteschaft der Klinik gute Arbeit geleistet.
Nur konnte mir kein Mensch sagen, wie sich das Ganze entwickeln würde. Ich hatte eine sehr ausgedehnte Entzündung im Rückenmark und hatte wohl – laut Ärzteschaft – eine gute Chance, nie wieder laufen zu können. Aber es gab auch eine Chance, zumindest einigermaßen zu genesen. Manche Ärzte / Schwestern / Therapeuten machten mir Mut, andere nicht. Meine Zukunft war also höchst ungewiss, und entsprechende Angst stieg in mir auf. Ich verfiel in Trauer und schwere Depressionen. Gleichzeitig erwachte aber auch Kampfgeist. Gerne wollte ich die Chance nutzen, die ich hatte, und wenn sie auch nur klein war.
Glücklicherweise zeigten sich in der Reha Rückbildungen der Symptome. Mein linkes Bein entwickelte sich recht schnell. Jedoch machte mir mein rechtes Bein große Sorgen. Lange Zeit tat sich nichts, und später nur winzige Besserungen. Wochenlang verließ mich die Ärzte-Visite keinesfalls optimistisch, sondern mit nachdenklichem Gesicht. So musste ich mit dem Gedanken leben lernen, dass es nur eine begrenzte Chance gab, in mein altes Leben zurückkehren zu können.
Es waren zunächst zwar nur kleine Besserungen. Aber sie führten dazu, dass ich drei Monate nach dem Einsetzen der Myelitis das erste Mal stehen konnte – zwar nur kurz und wackelig, aber immerhin. Kurz danach folgten erste Rollator-Schritte, und – o Wunder, es ging dann doch schneller als ich zu hoffen gewagt hatte – viereinhalb Monate nach Myelitisbeginn konnte ich mit Rollator und Rollstuhl ausgestattet in mein Zuhause zurückkehren. Eine große Erleichterung machte sich breit, dass ich nicht ins „betreute Wohnen“ umziehen musste oder gar in ein Pflegeheim. Dazu hatte ich überhaupt keine Lust, denn ich war doch erst Anfang 40. Jedoch waren diese Perspektiven für eine Weile durchaus realistisch. In einer Reihe von Gesprächen mit dem Sozialarbeiter der Reha musste ich mich mit entsprechenden Optionen auseinandersetzen.
Heute lebe ich wieder selbständig und brauche keine Hilfen im Alltag. Ich kann ohne Hilfsmittel gehen und kann wieder Auto und auch Fahrrad fahren. Darüber freue ich mich sehr und genieße es. Allerdings musste ich mehrere Rückschläge in Kauf nehmen. Diese Rückfälle bzw. Schübe waren aber im Vergleich zum ersten Myelitisschub leicht zu bewältigen. Zweimal verlor ich zwar wieder für einige Tage meine Fähigkeit zu laufen, kam aber recht schnell wieder „hoch“, wie manche léger formulieren. Bei zwei weiteren Rückfällen verlor ich nicht meine Fähigkeit zu laufen, verlor aber für einige Wochen die Fähigkeit des freien Laufens und war in dieser Zeit auf Gehstützen angewiesen. Bei allen dieser Rückfälle bildeten sich - im Vergleich zum ersten Myelitisschub - die Symptome recht schnell wieder zurück, und ich konnte, so in etwa, wieder an den Stand der Genesung anknüpfen, den ich vor dem Rückfall / Schub erreicht hatte.
Eine gesicherte Diagnose habe ich bis jetzt nicht (außer „rezidivierende Querschnittsmyelitis“). Es muss davon ausgegangen werden, dass es sich um eine autoimmunvermittelte entzündliche Systemerkrankung handelt. Natürlich stand schon Multiple Sklerose im Verdacht, wie immer bei einer Myelitis. Jedoch sind einige meiner Befunde und Symptome nicht typisch für MS. In jüngerer Zeit einigten sich meine betreuenden Ärztinnen und Ärzte darauf, dass eine Grunderkrankung aus dem rheumatischen Formenkreis am wahrscheinlichsten ist, eine Kollagenose oder eine Vaskulitis.
Natürlich wüsste ich gerne den Namen meiner Krankheit. Aber im Grunde kann ich auch damit leben, dass ich nicht genau weiß, ob es eine rheumatische Erkrankung oder vielleicht doch MS ist. Denn zwischen Rheuma und MS gibt es viele Parallelen, beide Krankheiten entstammen dem selben Formenkreis. Sowohl bei rheumatischen Erkrankungen als auch bei MS spielt das Immunsystem verrückt, es finden Autoimmunreaktionen statt, das Immunsystem reagiert über und greift körpereigenes Gewebe an. Bei der Polyarthritis Gelenke etc., bei Kollagenosen verschiedenste innere Organe, unter anderem Nerven, bei Vaskulitis Blutgefäße und bei der MS das zentrale Nervensystem. Auch die bei Rheuma und MS von der Schulmedizin verabreichten Medikamente ähneln sich in ihrer Wirkungsweise, teilweise sind es ja sogar die gleichen Präparate. Und bei beiden Krankheiten gibt es leichte Verläufe, bei denen es den Betroffenen bis ins hohe Alter ganz gut geht, und auch schwere Verläufe, von denen man hoffentlich verschont bleibt.
Nach meinem dritten Rückfall habe ich, auf Vorschlag des Ärzteteams der behandelnden Akutklinik, eine Dauermedikation mit Azathioprin begonnen. Auch so ein Medikament, welches bei allen der oben genannten Krankheiten eingesetzt wird. Zum Glück vertrage ich das Azathioprin relativ gut, von kleineren Schwierigkeiten am Anfang abgesehen (Übelkeit, Appetitverlust), die sich aber mittlerweile gegeben haben. Allerdings sind meine Blutwerte anämisch (med.: Makrozytose der Erythrozyten), seit ich Azathioprin nehme. Dies ist, so sagt meine betreuende Ärztin, ein bekanntes Phänomen unter Azathioprin und muss bei dieser Therapie in Kauf genommen werden. Unter anderem aufgrund der etwas entgleisten Blutwerte will ich die Aza-Therapie nicht ewig fortführen. Ich plane, das Medikament eine Weile zu nehmen, vielleicht zwei, drei oder vier Jahre. Dann will ich versuchen, es abzusetzen.
Jetzt bin ich schon eine Weile Rückfall- bzw. Schub-frei. Aber das Damoklesschwert „neuer Schub“ hängt natürlich weiterhin über mir. Noch ist alles längst nicht ausgestanden. Aber meine Hoffnung ist, dass sich die Krankheit eines Tages beruhigt. Über die Lebensweise, vielleicht auch über Medikamente, kann ich auf den Krankheitsverlauf Einfluss nehmen, zumindest bis zu einem gewissen Grad. Diese Chance versuche ich zu nutzen.